Fachgespräch Automotive zeigt Perspektiven für die Rüsselsheimer Automobilbranche auf


„Noch ist die europäische Automobilbranche eine Erfolgsgeschichte, doch der Markt verändert sich dramatisch schnell“, stellte Rüsselsheims Oberbürgermeister Udo Bausch dem zweiten Rüsselsheimer „Fachgespräch Automotiv“ voran. Mit seiner Einladung zur Veranstaltung auf dem Campus Rüsselsheim der Hochschule RheinMain möchte er Wege aufzeigen, wie Unternehmen der Region diesen Wandel mitgestalten können.

Foto: Oberbürgermeister Udo Bausch (Mitte) hatte Vertreter der Automobilindustrie zum zweiten Rüsselsheimer Fachgespräch Automotive eingeladen. Links von ihm die Referenten Reinhard Ebert (Stadt Rüsselsheim am Main, stehend), Professor Thomas Heimer (Hochschule RheinMain) und Michael Viertler von McKinsey.

Mit Spannung wurde Unternehmensberater Michael Viertler von McKinsey erwartet, der die aktuelle Studie „Race 2050 – A Vision for the European Automotive Industry“ vorstellte. „Die Automobilbranche befindet sich in einer Phase riesiger Herausforderungen“, betonte auch Viertler gleich zu Beginn seines Vortrags. Die Brüche würden immer offensichtlicher: Weltmarktanteile an der Produktion verschöben sich immer mehr in Richtung Asien (mit China voran), neue Unternehmen aus automobilfremden Branchen investierten seit 2010 über 100 Milliarden Euro in den Markt und würden damit zur ernsthaften Konkurrenz der etablierten Firmen. Und zu guter Letzt verändere sich das Produkt an sich. McKinsey erwartet, dass bis 2030 rund ein Drittel des Fahrzeugwerts durch Software bestimmt werde. Technologiegetriebene Trends wie autonomes Fahren, Carsharing, Elektrifizierung des Antriebs und Netzwerkfähigkeit würden dabei zusätzlich die Veränderungen in der Branche beschleunigen.

Einen europäischen Weg in Richtung Mobilitätsindustrie finden

„Wir befinden uns am Übergang von der Automobil- zur Mobilitätsindustrie“, folgerte daraus der McKinsey-Berater. Man könne sich das ähnlich gravierend vorstellen, wie damals der Wandel von der Kutsche zum motorgetriebenen Automobil. Die zentrale Frage laute: „Wie kann der Übergang gelingen und wo finden die ’Alten‘ ihren Platz?“ Denn von den damaligen Kutschenproduzenten habe sich keiner in die automobile Zeit retten können. Die Herausforderung bestehe darin, einerseits den Wandel zu organisieren und gleichzeitig den vorhandenen „Kern weiterzuentwickeln“. Für das Bewältigen dieses Spagats empfehlen die Berater von McKinsey den europäischen Automobilunternehmen drei strategische Ansätze: Zunächst müsse es ihnen gelingen, sich noch konsequenter auf die Bedürfnisse des Kunden auszurichten. Ebenso müssten sie sich zum Vorreiter für nachhaltige Mobilitätslösungen machen. Dazu zähle insbesondere die schrittweise Reduktion der Emissionen auf Null. Wichtig sei aber auch ein dritter Aspekt: Die Branche müsse innerhalb der globalen Entwicklung einen eigenen, einen spezifisch europäischen Weg zu finden. Während die USA vor allem von „Technologie-Giganten“ geprägt seien und China seine Stärke aus seinen staatlich verordneten Programmen ziehe, sprächen für Europa das breite Spektrum an Unternehmen und Organisationen, die netzwerkartig miteinander verbunden seien. „Wenn es gelingt, diese Vielfalt zu erhalten und noch besser zusammen zu arbeiten, dann kann auch Europa weiterhin global bestehen“, so Viertler. Dazu bedürfe es insbesondere neuer Formen der Kooperation, vor allem gelte es, „die zahlreiche Branchen und Spieler miteinander zu synchronisieren“. Daher empfahl Viertler unter anderem das Bilden von Clustern und das Eingehen strategischer Partnerschaften – statt zu versuchen, alle Entwicklungen selbst voranzutreiben.

Stadt plant Infrastruktur für die Zukunft

Wegen der Infrastrukturen gehöre dazu auch das Knüpfen von Allianzen auf lokaler Ebene zwischen Politik und Wirtschaft. Das hat auch die Stadt Rüsselsheim am Main erkannt. Reinhardt Ebert, Leiter des Bereichs Umwelt und Naturschutz der Stadt Rüsselsheim am Main, berichtete daher im zweiten Vortrag der Veranstaltung über das Projekt „Electric City Rüsselsheim“, das für den massiven Ausbau der Ladeinfrastruktur für den motorisierten elektrischen Individualverkehr steht. Bis zu 1.300 Ladepunkte sollen bis Oktober 2020 flächendeckend in Rüsselsheim zur Verfügung stehen, davon rund 900 öffentlich zugänglich. Die Stadt rüstet sich damit nicht nur für den Markthochlauf der Elektromobilität, sondern möchte diesen sogar forcieren, wie Ebert erklärt: „Die Elektrifizierung des Verkehrssektors wird in den nächsten Jahren kontinuierlich zunehmen. Damit die Elektromobilität allerdings in den Alltag einziehen kann, müssen dafür die notwendigen Voraussetzungen auf Seiten der Infrastruktur geschaffen werden“. Um das ehrgeizige und vom Bund mit rund 12,6 Millionen Euro geförderte Projekt umsetzten zu können, bindet die Stadtverwaltung zahlreiche Partner mit ein. Nur so könne sie möglichst breit die verschiedensten potenziellen Nutzerinnen und Nutzer, die eine Wohnung gemietet haben, pendeln oder Gewerbetreibende, Handwerks- und Industrie unternehmen erreichen, wie Ebert betonte. Zu den Partner zählten daher insbesondere die Hochschule RheinMain und Opel, aber auch die städtische Wohungsbaugesellschaft gewobau und die Rüsselsheimer Stadtwerke.

Gemeinsames Leitbild für den Automobilstandort Rüsselsheim

Der Frage nach Kooperation ging auch Prof. Dr. Thomas Heimer von der Hochschule RheinMain nach. Als wissenschaftlicher Leiter des Projekts „IMPACT RheinMain“ unterstützt er Rüsselsheim bei Transformationsprozessen. Seine Vision: „Die Mobilität von Morgen soll auch ein Stück weit hier am Standort entstehen“. In seinem Vortrag widmete er sich der Frage, ob sich in der Region und besonders am Automobilstandort Rüsselsheim ein gemeinsames Verständnis darüber entwickeln lässt, wo Zusammenarbeit sinnvoll, aber auch wo Wettbewerb erforderlich ist. Denn darin war er sich mit seinen Vorrednern einig: „Die großen Herausforderungen machen Zusammenarbeit nötig.“ Dazu empfahl Heimer mit Unterstützung des IMPACT RheinMain Projekts den in und rund um Rüsselsheim angesiedelten Unternehmen, ein gemeinsames Leitbild zu entwickeln. Damit könne Orientierung geboten und die Frage beantwortet werden, wofür der Standort morgen stehe. Ein Leitbilde helfe auch, sich strategisch auf kommende Aufgaben vorzubereiten und unternehmensübergreifende Aspekte gemeinsam anzugehen. Dem konnten sich zahlreiche Teilnehmer anschließen, denn „abwarten und zuschauen, wie sich die Branche verändere“, wie es ein Anwesender formulierte, wäre wohl die schlechteste Alternative. Noch im Frühjahr soll es daher an dieser Stelle weitergehen.

Quelle: Stadt Rüsselsheim am Main | Foto: Isabella Groth